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Themenfeld Social Entrepreneurship

Was kennzeichnet Social Entrepreneurship?

Angetrieben von der Idee, den notwendigen Wandel selbst in die Hand zu nehmen, aufgespürte gesellschaftliche Probleme proaktiv und nachhaltig lösen zu wollen oder bisher ungenutzte Ressourcen zum Wohle vieler zu erschließen, gibt es mittlerweile unzählige sehr aktive Initiativen, Vereine, Startups, Unternehmen. Das Spektrum der Akteure reicht dabei von ehrenamtlich Tätigen bis zum mittelständischem Unternehmen, vom losen Zusammenschluss Einzelner bis zur Genossenschaft, vom Non-for-Profit-Ansatz bis zum profitablen Unternehmen, dass Gewinne in soziale Projekte investiert.

In diesem weiten Feld finden wir immer mehr Tätigkeiten, die wir als Social Entrepreneurship verstehen, da sie die Lösung einer gesellschaftlichen Herausforderung mit einem unternehmerischen Ansatz verbinden. Viele Initiativen würden sich dabei selbst vielleicht gar nicht als Social Entrepreneurs bezeichnen, weil es bisher keinen Grund gab sich mit dem Selbstverständnis auseinanderzusetzen oder sich diesbezüglich zu verorten. Auch in der Politik und Verwaltung, bei Banken, Steuer- und Rechtsberatung ist das Phänomen hierzulande noch viel zu unbekannt, um es klarer benennen und damit eine neue Zielgruppe identifizieren und ansprechen zu können. Das Phänomen Social Entrepreneurship ist auf verschiedenen Ebenen sehr komplex und daher nicht einfach zu fassen. Vor allem im deutschsprachigen Raum erschwert der Begriff in seiner Nähe zu Social Business oder Sozialunternehmertum eine allgemeinverständliche Verknüpfung und Identifizierung mit dem Begriff, vor allem vor dem Hintergrund einer etablierten freien Wohlfahrtspflege und deren Prägung des sozialen Sektor. Außerdem sind die Abgrenzungsmerkmale auf den einzelnen Betrachtungsebenen eher unscharf, so dass der Versuch einer vereinfachten Definition immer daran zu scheitern droht, dass die Beschreibung entweder auf beliebig viele Phänomene der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft anwendbar wird oder aber zu viele Ausprägungen des Social Entrepreneurships von der Definition ausgeschlossen werden.

Trotzdem sollte man sich nicht davor scheuen, die Definitionsfrage immer wieder zu stellen und die Bedeutung des Begriffs des Social Entrepreneurship in verschiedenen Kontexten zu diskutieren. Versteht man die verschiedenen Ausprägungen des Social Entrepreneurship weltweit, in Europa und in Deutschland als zivilgesellschaftliche Antwort auf regionale, nationale und internationale (Ordnungs)probleme, so sollte auch die Bedeutungshoheit über diesen Begriff des kollektiven Handelns den zivilgesellschaftlichen Akteuren überlassen bleiben. Genau hier besteht die Gefahr einer bewussten Vereinnahmung oder unbewussten Konnotation des Begriffs mit zunehmendem Bekanntheitsgrad des relativ jungen Phänomens und wachsendem medialen, politischen und wirtschaftlichen Interesse an der Bewegung.

Eine wie auch immer geartete Definition des Phänomens hat auch deutlich Einfluss auf dessen Verankerung in der Gesellschaft. Welche Veränderungen der rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen angestoßen werden müssen, wer besseren Zugang zu finanziellen Ressourcen und personelle Unterstützung bekommen soll, welche Beratungs- und Qualifizierungsangebote geschaffen werden müssen – all das hängt davon ab, wie wir Social Entrepreneurship beschreiben, wen wir per Definition ein- und wen wir ausschließen.

Auch die öffentliche Wahrnehmung des Phänomens wird davon abhängen, wie gut es gelingt eine klare, gemeinverständliche Beschreibung des Phänomens und eine praxistaugliche Definition zu entwickeln, die eingebettet in den gesellschaftlichen und kulturellen Kontext der Region die charakteristischen Merkmale der hier aktiven Individuen oder Gruppen beschreibt.

Das Kompetenzzentrum für Soziale Innovation Sachsen-Anhalt möchte daher auch die Diskussion über das Verständnis und Selbstverständnis von Social Entrepreneurship vorantreiben, mit dem Ziel möglichst vielen Akteuren in Sachsen-Anhalt und angrenzenden Regionen eine Identifizierung mit dem Begriff und damit eine Basis für eine bessere Vernetzung und gemeinsames Auftreten zu bieten Die Praxistauglichkeit einer regionalspezifischen Definition von Social Entrepreneurship sollte sich daran messen lassen, dass diese

·        eine ausreichende Beschreibung der Wesensmerkmale jener neuen, eigenständigen Form zivilgesellschaftlichen Engagements enthält, mit dem Gruppen und Individuen aktuell den gesellschaftlichen, sozialen und ökologischen Herausforderungen begegnen

·        dem besonders im englischsprachigen Raum verbreitetem Verständnis von Social Entrepreneurship nicht widerspricht und sich daher auch als regionale Interpretation eines globalen Phänomens versteht

·        eine breite Zustimmung und Anwendbarkeit durch die Akteursgruppe selbst erfährt

·        geeignete operationalisierte Kriterien enthält, um Social Entrepreneurship von sonstigen zivilgesellschaftlichen Organisationsformen, etablierten Unternehmen und herkömmlichen Organisationen der Sozialwirtschaft zu unterscheiden

·        auch zur Identifizierung des spezifischen Unterstützungs-, Qualifizierungs- und Beratungsbedarfs dient

Sowohl im allgemeinen Verständnis des Begriffs als auch im wissenschaftlichen Diskurs besteht der Konsens, dass die zentralen Konstrukte unternehmerisches Handeln, soziale Mission und innovativer Ansatz Kernelemente des Social Entrepreneurship sind.

“The idea of ’social entrepreneurship’ has struck a responsive chord. It is a phrase well suited to our times. It combines the passion of a social mission with an image of business-like discipline, innovation, and determination commonly associated with, for instance, the high-tech pioneers of Silicon Valley.“ (J. Gregory Dees, 1998) [1]

Allerdings sind die oben genannten Konstrukte selbst vielseitig interpretierbar und schwer messbar. Die Vielfalt an gesellschaftlichen Herausforderungen impliziert eine große Themenvielfalt bei der sozialen Mission angefangen von Fragen des gesellschaftlichen Zusammenhalts, der sozialen Teilhabe, ökologischen Herausforderungen bis hin zu Fragen nachhaltiger Produktions- und Konsumweisen. Zu prüfen, ob die soziale Mission ein konstituierendes Merkmal einer Gruppe oder eines Unternehmens ist, dürfte im Einzelfall schwer sein, wenn z.B. schon die Gründung eines Vereins im ländlichen Raum dazu beiträgt, der drohenden Vereinsamung und dem Verlust des gesellschaftlichen Zusammenhalts entgegenzuwirken. Bioläden und Ökostromanbieter können in bestimmten Regionen und Milieus eine hohe Zahlungsbereitschaft erwarten und damit durchaus profitabel arbeiten, in anderen Regionen treten Gewinnerwartungen in den Hintergrund und es überwiegt vielleicht die Motivation, trotzdem zur nachhaltigen Entwicklung der Region beitragen zu wollen. Ob soziale Mission oder profitables Geschäftsmodell im Vordergrund eines Dienstleistungsunternehmens im Gesundheits- und Pflegesektor stehen, lässt sich schwer bewerten, da im deutschen Wohlfahrtssystem das eine eng an das andere gekoppelt ist.

„Clearly social entrepreneurship has come into its own, recognized as a model that combines the financial disciplines of market capitalism with the passion and compassion required to create a more fair and just world.“ (Hilde Schwab , Katherine Milligan, 2015) [2]

Spannend bleibt auch die Frage, wo fängt unternehmerisches Handeln an und wo hört es auf? Und unternehmerisches Handeln setzt unternehmerisches Denken und Wissen voraus. Nur dadurch, kann Social Entrepreneurship in der Kombination von Effizienz und Gemeinwohlorientierung als dritte Alternative zu Staat und Markt die notwendigen Innovationen und Reformen in der Gesellschaft voranbringen, wie von Amitai Etzioni bereits 1973 beschrieben [3] Mit Sicherheit ist ein Großteil der deutschen Social Entrepreneurs der kreativen, agilen, missionsgetriebenen StartUp-Szene zuzuordnen, die über gutes unternehmerisches Grundwissen verfügt und sich gegenseitig unterstützt, Zugang zu den notwendigen Ressourcen (Wissen, Geld, Strukturen, Netzwerke) zu erlangen, um überzeugende Konzepte auszuarbeiten und umzusetzen. Bei anderen Akteuren steht die Beschäftigung mit dem Problem bzw. die Entwicklung verschiedener Lösungen im Vordergrund und erst nach und nach entwickelt sich daraus gegebenenfalls auch ein Geschäftsmodell. Hier ist Entrepreneurship wenn überhaupt nur in Ansätzen vorhanden und die Akteure bedienen sich mitunter nur vorübergehend und nicht alleinig marktlicher Austauschprozesse. Diese Gruppierungen von vornherein auszuschließen, hieße, die in Deutschland präsente enge Verflechtung zwischen den sozialen/ökologischen Startups und einer ausgeprägten Engagementkultur und deren fließenden Übergang zu ignorieren. Gerade in den ostdeutschen Bundesländern, wo Gründerökosysteme für Social Entrepreneurship noch nicht ausreichend entwickelt sind und eine geringe Dichte von Stiftungen, potentiellen Investoren und Fundraising-Partner einhergeht mit einer vergleichsweise geringen Zahlungsbereitschaft der Bevölkerung, wird es für die Lösung bestimmter Problemlagen keine wirklich tragfähigen Geschäftsmodelle geben und am Ende die kapitalistische Logik vielleicht sogar bewusst abgelehnt. Trotzdem muss das Potential solcher Unternehmungen erkannt und gefördert werden.

Das dritte Zentralkonstrukt zur Beschreibung von Social Entrepreneurship ist der innovative Ansatz. Einer der Schwerpunkte bei den Auswahlkriterien im Ashoka-Fellowship-Programm ist das innovative Konzept, welches das Potential haben sollte, einen umfassenden gesellschaftlichen Wandel zu bewirken. Auch die Schwab Foundation sieht im innovativen Ansatz das Kernelement der Sozialunternehmen: The first is innovation. Auch das Mercator-Forschungsnetzwerk Social Entrepreneurship benennt z.B. in seiner differenztypologischen Arbeitsdefinition von Sozialunternehmen  „skalierbare innovative Blueprints, imitierende Gründung“ und „Neuausrichtung bestehender Organisationen.“ als wichtige Definitionsmerkmale für Sozialunternehmen. [4]

Damit wird schon die ganze Bandbreite möglicher Aspekte von Innovationen im Kontext von Social Entrepreneurship angedeutet: der noch nicht marktreife Prototyp, der erste Pilot und die schlussendliche Marktdurchdringung durch Wachstum, Skalierung und imitierende Gründungen sind letztlich alles Bestandteile eines Innovationsprozess und das eine nicht ohne das andere denkbar. Zwar sind für (imitierende) Geschäftsmodelle mit zunehmender Marktdurchdringung auch weniger Kreativität, Innovationsfreude, Risikobereitschaft und Improvisationstalent notwendig, wodurch auch Zeitaufwand und Ressourcenverbrauch sinken, aber sie bleiben auf dem systemischen Level Teil einer innovativen Lösung. Den eigentlichen Innovationsgrad des Unternehmens, des Produkts oder des Projekts, kann man nur beurteilen, wenn man allumfassend alle regionalen, lokalen und milieuspezifischen Randbedingungen und die daraus resultierenden notwendigen Innovations- und Adaptionsleistungen berücksichtigt, eine pauschale, scharfe Abgrenzung zwischen den Pionieren und den early bzw. late adopters ist hier sehr schwierig und wenig zielführend.

Es lohnt sich daher den definitorischen Betrachtungsraum von Social Entrepreneurship zu öffnen für Gründungspersönlichkeiten und Initiativen, die mit der Lösung eines gesellschaftlichen Problems auf eine für sie und ihr Umfeld neue Art und Weise beginnen und dabei die Risiken der Umsetzung auf sich nehmen und damit das Potential haben, eine dauerhaft tragfähige, gemeinwohlorientierte Lösung mit einem unternehmerischen Ansatz zu verbinden. So schlägt Thomas Leppert (2008) unter Berücksichtigung der deutschen Spezifika folgende Arbeitsdefinition vor:

"Social Entrepreneurs in Deutschland sind Menschen, die eine konkrete am Gemeinwohl orientierte Aufgabe erkennen, eine für sich oder die jeweilige Zielgruppe neue Lösungsidee dafür entwickeln und in eigener Verantwortung den Schritt von der Idee zur Umsetzung gehen."
(Thomas Leppert, 2008) [5]

In dem von Leppert vorgeschlagenen „Definitionskontinuum“ steht das von ihm formulierte, eher breite, „Graswurzel“-orientierte Verständnis an dessen Anfang und ein strengeres, auswahlorientiertes Verständnis, wie etwa die Definition von Ashoka an dessen Ende. Auch die vom Centrum für soziale Investitionen und Innovationen (CSI) der Universität Heidelberg im Rahmen der KfW-Studie „Social Entrepreneurship in Deutschland“ angeregte Verwendung einer weiteren und einer engeren Definition von Social Entrepreneurship bedient sich dieser Logik. Während beim Social Entrepreneurship im weiteren Verständnis die soziale und ökologische Grundausrichtung als Pflichtkriterium dient und als weiteres Abgrenzungsmerkmal Innovation ODER erwirtschaftetes Einkommen (unternehmerischer Ansatz) hinzukommt, treffen bei Social Entrepreneurship im engeren Verständnis alle genannten Kriterien zu und zwar in sich wechselseitig verstärkender Art und Weise.

 

 


[1] https://entrepreneurship.duke.edu/news-item/the-meaning-of-social-entrepreneurship/

[2] https://www.weforum.org/agenda/2015/12/explainer-what-is-a-social-entrepreneur/

[3] Etzioni, A. (1973). The third sector and domestic missions. Public Administration Review(33)

[4] Jansen, S.A. et al. (2010). A Definition of Social Entrepreneurship (Eine Definition von Social Entrepreneurship), Working paper  (https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=1713358)

[5] Leppert, Thomas (2008) . Social Entrepreneurs in Deutschland - Ansätze und Besonderheiten einer spezifischen Definition. (http://www.socialstartup.org)

Das Kompetenzzentrum Soziale Innovation Sachsen-Anhalt (KomZ) wurde aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) und des Landes Sachsen-Anhalt unterstützt. Die Projektvergabe erfolgte durch das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt.

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Zentrum für Sozialforschung Halle e.V.
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